Auf Entdeckungstour

Fotografie ist, in meinen Augen, eine zutiefst kreative Tätigkeit. Sie lebt vom Schaffen neuer Sichten und Ansichten. So ist es für mich nur konsequent, einen nicht unerheblichen Teil der Zeit, die ich der Fotografie zurechne, damit zu verbringen, neue Motive für mich zu erschließen oder wenigstens neue Ansichten für bestehende Motive zu finden.

Im meiner Heimat, dem Pfälzerwald, geschieht dies meist dadurch, dass ich zunächst auf einer Karte mögliche neue Motive und Motivpositionen suche. Regelmäßig breche ich auf und erkunde diese potentiellen Locations. Dabei bin ich oft ohne Fotogepäck unterwegs, dafür aber mit Karte, Fernglas und Kletterseil im Wanderrucksack. Ebenso dabei ist das Smartphone mit Apps, die mir vor Ort eine genauere Planung ermöglichen.

Diese Vorgehensweise zur Erschließung neuer Motive ist recht arbeits- und zeitintensiv. Man erlebt auch immer wieder Rückschläge, wenn alle Anstrengungen im Vorfeld nichts wert waren, und sich erst vor Ort herausstellt, dass die Location nichts taugt, bspw. weil sie zugewachsen ist. Entsprechend ist die Anzahl an Kollegen, die mit mir diesen Ansatz teilen, (vorsichtig ausgedrückt) überschaubar. Dennoch bin ich hier meist nicht alleine unterwegs. Zu diesem Motiv hat mich Katrin begleitet – sowohl zur Erkundungstour, als auch zur eigentlichen Fototour, die nur wenige Tage später stattfand.

Der Fels

An diesem Tag starteten wir zu einer ca. 8km langen Tour, die uns zu insgesamt 4 Felsen und Aussichtspunkten in der Nähe von Annweiler führen sollte. Alle Punkte lagen abseits befestigter Wege und waren nur mir (leichten) Klettereinlagen erreichbar. Drei dieser vier Punkte stellten sich vor Ort entweder als zugewachsen, mit unserem Kletterkönnen nicht erreichbar oder einfach als fotografisch nicht sonderlich spannend heraus. Am letzten Felsen angekommen, folgten wir dem Felsmassiv steil bergauf und direkt am Fels entlang. Immer wieder zeigten sich Absätze und kleine, ausgesetzte Plateaus, die zwar begehbar waren aber letztlich keine besonders attraktive Aussicht boten. Schließlich erreichten wir eine Verschneidung im Fels, an der ein Pfad etwas ansteigend in die Gegenrichtung zu einer weiteren Stufe führte. Wir folgten diesem Pfad und fanden an der Stufe eine Möglichkeit den ca. 2m hohen Absatz zu erklettern. Von hier aus bot sich eine ansprechende Perspektive auf den oberen Teil des Felsmassivs.

Wie steht die Sonne?

Wenn ich vor Ort beginne ein Motiv zu analysieren, geschieht dies meist in Form von Bildideen, die sich in meinem Kopf zusammenfügen und die ich dann auf Plausibilität (im Sinne von Realisierbarkeit) prüfe. Früher oder später wird dabei die Frage nach dem Sonnenstand entscheidend. In diesem Fall war es die Frage, ob es einen Zeitpunkt im Jahr gibt, an dem die Sonne etwas rechts vom Felsen über dem bewaldeten Hang aufgehen wird.

Photopills AR-Darstellung: Um ca. 06:25 schafft es die Sonne über die Baumspitzen.

Photopills

Aufmerksame Leser meines Blogs wissen, ich nutze für meine fotografische Planung gerne die Tools aus der “The Photographers Ephemeris” – Suite, kurz TPE. Mir gefällt dabei, dass sich diese Tools recht intuitiv bedienen lassen und gleichzeitig sehr präzise Ergebnisse liefern. Zudem ergänzen sie sich perfekt untereinander und bieten die aktuell wohl mächtigste Suite für fotografische Planungen.
Im Vergleich zu TPE über weite Strecken einfach nur grausam zu bedienen, ist die App Photopills. Lediglich im Bereich AR-Darstellung arbeite ich ebenso gerne mit Photopills, wie mit TPE. Da es hier darum ging, in der AR-Ansicht eine geeignete Position für den Sonnenstand zu finden, habe ich an diesem morgen Photopills genutzt.

Nach dem Wechsel in die AR-Ansicht, stand die App zunächst auf dem aktuellen Tagesdatum, dem 26.05.2022. Irgendwo muss man ja anfangen und das aktuelle Tagesdatum ist zumindest mal eine Ausgangsbasis. Es war bewölkt, den Sonnenstand konnte man nur erahnen und durch die vorangegangene Kraxelei hatte ich auch etwas die Orientierung verloren, was die Himmelsrichtungen angeht. Um so überraschter war ich, als für das aktuelle Datum der Sonnenverlauf ziemlich so angezeigt wurde, wie ich mir das im Idealfall erhofft hatte! Das bedeutete also, dass ich zeitnah einen klaren Morgenhimmel brauchte, um meine Motividee umzusetzen.

Tip: Die Präzision der AR-Darstellung hängt entscheidend von der Genauigkeit der Sensoren im Smartphone ab. Neben den GPS-Daten wird hier auch der Kompass benötigt. Es ist daher sehr wichtig, dass kein Metall in der Nähe ist – und keine Handyhülle mit Magnetverschluss verwendet wird – und man ggf. eine Kalibrierung der Sensoren durchführt. Dazu wird das Smartphone nach dem Einschalten der AR-Funktion einmal in Form einer liegenden Acht gedreht. Ich führe diese Kalibrierung regelmäßig vor Nutzung der AR-Darstellung durch.

 

Welche Brennweiten benötige ich?

Der steile Weg am Fels entlang, zusammen mit der Klettereinlage am Ende, legte es nahe: Bei der Equipmentauswahl sollte man sich wirklich auf das notwendigste beschränken. Kein unnötiger Ballast zum Hochschleppen und kein unnötig großer Rucksack, der das Gewicht zu sehr nach hinten zieht.
Die Frage war also, welche Brennweiten sollten mitgebracht werden. Ist das RF24-105 am unteren Ende schon zu lang oder ist das RF14-35 am oberen Ende noch zu kurz?
Um diese Frage sicher zu beantworten, nutze ich eine App zur Brennweiten-Simulation auf dem Smartphone – ähnlich der AR-Simulation von TPE bzw. Photopills.

Mark II Artist’s Viewfinder App: Simulation von 20mm Brennweite mit Anzeige der Bildwinkel für weitere Brennweiten.

Die Brennweiten-Auswahl mit Mark II Artist´s Viewfinder

An dieser Stelle kommt die App Mark II Artists Viewfinder ins Spiel. Auf einem Livebild der Smartphonekamera können sowohl die Bildausschnitte verschiedener Brennweiten simuliert werden, als auch die Bildausschnitte unterschiedlicher Brennweiten in einer gemeinsamen Aufnahme angezeigt werden.
Die App nutzt dabei, so weit möglich, die vorhandenen Objektive des Smartphones und rechnet dies in den äquivalenten Bildwinkel einer angegebenen Sensorgröße um.
Zwischenwerte und Werte oberhalb des optischen Brennweitenbereichs des Smartphones werden geschickt interpoliert.
Die App arbeitet ausgesprochen präzise und verlässlich.

Für dieses Motiv zeigte sich, dass für den gewünschten Bildwinkel eine Brennweite von 20mm notwendig ist. Damit war klar, dass ich als einziges Objektiv das RF14-35 mitnehmen werde.

 

 

Die Aufnahme

Zwei Tage später ist es auch schon so weit: Der Wetterbericht meldet einen relativ klaren Morgen, bevor es in der Vorhersage für die Tage darauf wieder schlechter aussehen soll. Der kleine Fotorucksack wird sehr minimalistisch gepackt: Nur die EOS R mit angesetztem RF14-35 F/4L findet darin Platz. Dazu noch Stirnlampe und Fernauslöser, sowie außen am Rucksack das Stativ. Es kommt selten vor, dass ich so minimalistisch unterwegs bin, aber man muss ja auch nichts mitschleppen, von dem man weiß, dass man es nicht brauchen wird.

Um kurz nach 04:00 Uhr rappelt der Wecker. Ich prüfe nochmals die Wolkenlage auf Basis aktueller Satellitenbilder und stelle dabei erfreut fest, dass sich aller Voraussicht nach kein all zu dichtes Wolkenband vor die Sonne schieben wird. Der Plan kann also funktionieren. Nach einer kurzen WhatsApp mit Katrin, einigen wir uns auf “Aufbruch”. In der Dämmerung beginnen wir den Weg hinauf zum Fels. Den Weg kennen wir noch gut und auch den Einstieg zu dem kleinen Plateau finden wir sofort wieder. Wir klettern die letzte Stufe hinauf und stehen schliesslich an dem Spot. Gleich setzen wir die Kamera auf das Stativ und stellen den gewünschten Bildausschnitt ein, denn nachher wird alles recht schnell gehen. Zunächst heißt es aber erst mal warten, bis die Sonne über den Bergrücken spitzt. Um ca. 06:25 Uhr war das laut der Messung mit Photopills vor zwei Tagen der Fall. Und tatsächlich, um 06:22 Uhr schafft es die Sonne heute über die Baumspitzen.

Jetzt heißt es schnell sein, denn wenn wir zu lange warten, wird die Sonne zu grell im Bild. Maximal eine Minute beträgt das Zeitfenster in dem eine halbwegs ausgewogene Belichtung möglich ist. Hier langt es sogar noch für einen Sonnenstern.

Das Ergebnis der Planungsarbeit: Eine Aufnahme, bei der die Sonne über dem bewaldeten Hügel, gleich rechts neben dem Felsen, aufgeht. EOS R mit RF14-35 @ 20mm Brennweite.

Ich hoffe, dieser Einblicke in meine Arbeitsweise war wieder interessant für Euch. Wie immer freue ich mich über Kommentare, Anregungen und Fragen. 

Weitere Informationen: Alle Links auf einen Blick

Hier noch einmal die Links zu Produkten und Fotografen an einer Stelle zusammen gefasst:

Alle Links sind keine Affiliate Links! Ich verdiene mein Geld nicht dadurch, dass ich meine Leser zu Händlern weiterleite. Ich stehe außerdem in keiner geschäftlichen Beziehung zu einem der hier genannten Anbieter. Entsprechend unbeeinflusst habe ich meine Eindrücke geschildert.