Unser Tag beginnt um kurz vor 5 Uhr morgens mit dem Studium der aktuellen Wettermodelle. Die verschiedenen Vorhersagen sind sich einig darin, dass es in der Gegend um den Zion National Park Schneeregen geben soll. Damit steht schon mal fest, dass unsere ursprüngliche Planung keinen Bestand haben wird. Wir prüfen weitere Locations auf unserer Liste, aber die Änderung der Wetterlage scheint dazu geführt zu haben, dass der Großteil des amerikanischen Südwestens derzeit unter einer dichten Wolkendecke liegt. Wir gehen gedanklich weitere Locations durch und kommen zu dem Schluß, dass wir für alles, was Himmel im Bild haben soll, derzeit einfach schlechte Karten haben. Wir sitzen in der Wetterfalle! Aber nur fast, denn Raik spricht auf einmal die vier magischen Buchstaben aus: “Page”. Ja klar, das ist es! Die Gegend um Page ist bekannt für ihre Slot Canyons. Enge, schmale Felsschluchten, in die das Licht selten bis zum Boden hinabreicht. Da darf es meinetwegen draußen auch bewölkt sein, halb so wild. Das wäre jedenfalls unsere Rettung, wenn es dort nicht regnet. Diese Naturwunder können zu einer tödlichen Falle werden, wenn nach einem Regen das Wasser durch den Canyon schießt. Zur Sicherheit sind sie deswegen bei Regen gesperrt. Für heute und morgen ist die Regenwahrscheinlichkeit in Page bei wenigen Prozent. Das ist perfekt, also auf nach Page!
Kurz darauf sind wir auch schon im Auto und rollen auf den Highway. Unterwegs halten wir einmal zum Frühstücken und einmal, weil wir irgendwo “in the middle of nowhere” ein paar gammelige Briefkästen am Straßenrand entdecken.
Briefkästen, irgendwo am Straßenrand – Beifang mit dem iPhone
Über weite Strecken regnet es stark und es sind sogar ein paar Schneeflocken dabei. Ca. 20 Meilen vor Page hört es dann brav auf zu regnen und als wir Page gegen Mittag erreichen, finden wir uns kurz darauf im Visitor Center wieder. Wir wollen uns über die Möglichkeiten zum Besuch des Lower Antelope Canyon informieren. Den Lower Antelope Canyon haben wir uns deswegen ausgesucht, da er im Vergleich zum Upper Antelope Canyon deutlich weniger frequentiert sein soll. Wir hoffen damit zumindest etwas Ruhe zum Fotografieren zu haben. Im Visitor Center sind wir die einzigen Besucher und so haben wir Zeit mit Kelly, der Angestellten, zu plaudern. Wo wir herkommen und was uns hierher treibt, will sie wissen. “Photographers from Germany” sind wir und dann wundert sie sich, warum wir nicht nach dem Upper Antelope Canyon gefragt haben, da wollen doch schließlich alle hin. Wir erklären ihr, dass wir lieber dort unterwegs sind, wo weniger los ist und dazu auch gerne die weniger ausgetretenen Pfade nehmen. Das versteht Kelly und fragt uns, ob wir dann nicht lieber in einen Slot Canyon möchten, der (noch) relativ unbekannt ist und nur wenige Besucher hat. Wir sind etwas irritiert. Die Slot Canyons bei Page sind weltbekannt und jetzt soll es da auf einmal einen “neuen” geben und ausgerechnet im Visitor-Center erfährt man dann davon? Während wir kurz überlegen, ob das jetzt der Beginn einer Veräppelung oder einer Abzocke wird, zieht Kelly unter dem Tisch eine schlecht kopierte Karte von Page heraus und malt uns die Strecke ein. Ein paar Meilen ausserhalb von Page wäre ein Gebiet im Privatbesitz einer Navajo Familie und die hätte seit ein paar Monaten einen Slot Canyon auf diesem Gebiet zugänglich gemacht. Wir sollen am Milemarker #308 rechts abbiegen und könnten dort auch gleich parken. Klingt ja irgendwie abenteuerlich. Ich schaue mir die Karte genauer an und lese verdutzt den Namen neben der Markierung: “Canyon X” ? Etwa der Canyon X? Der Name geisterte jahrelang durch diverse Foren, wenn es darum ging weniger bekannte Slot Canyons zu finden. Es wurde immer eine Geheimniskrämerei darum gemacht und keiner wusste so recht, ob man da offiziell hin darf (oder wollte es einfach nicht sagen). Mal war zu hören, es wäre verboten, mal konnte man von horrenden Gebühren lesen (mehrere hundert Dollar) die angeblich gezahlt worden wären um in den Canyon zu gelangen und nur ganz selten sah man Fotos die von dort stammen sollten. Wie auch immer, unser Interesse war geweckt! Kelly zeigte uns ein paar Aufnahmen in einem Buch, die dort entstanden waren und für uns war augenblicklich klar: Wir wollten dort hin! Jetzt!!
Canyon X
Wenig später kommen wir am Milemarker #308 an. Neben der Straße ist ein Parkplatz auf dem unter einem Partypavillon ein kleiner Campingtisch steht. An dem Tisch sitzt Kathie. Wie sich später herausstellen sollte, gehört ihr das Land mit samt dem Canyon. Neben ihr sitzt ihr Cousin Brian, der die Führungen durch den Canyon macht. Wir werden herzlich begrüßt und erfahren die Preise für einen Besuch im Canyon. Für Fotografen beträgt der Tarif 50$ für drei Stunden und wenn wir wollen, können wir gleich starten. Aber sicher wollten wir, deswegen sind wir ja hier! Wir entrichten unseren Obulus und sitzen kurz darauf bei Brian in einem hochbeinigen Pickup, der uns rumpelnd über ausgefahrene Sandwege ein paar Meilen ins Hinterland kutschiert. Dort müssen wir in ein ATV umsteigen und fahren dann die letzten Meter über abenteuerlich schmale und steile Pfade in ein Tal hinab, bis wir schließlich am Eingang des Canyons stehen. Brian entscheidet, dass wir alt genug sind, um uns alleine im Canyon zu bewegen und anscheinend sind wir auch vertrauenswürdig genug, denn er gibt uns nur noch die Bitte mit, doch keine Initialen in die Felsen zu ritzen. Wir wollen noch wissen, auf wie viele Leute wir im Canyon treffen werden und Brian meint nur, dass wir die einzigen Besucher wären und heute wohl auch keine mehr kommen werden. Das klingt ja fast zu schön um wahr zu sein.
Ein schmaler Spalt im Fels ist der Eingang zu einer eigenen Welt
Tatsächlich werden wir in den nächsten drei Stunden den Canyon X komplett für uns alleine haben. Durch einen schmalen Spalt zwängen wir uns zwischen die Felsen und finden uns in einer unglaubichen Welt von Formen und Linien wieder.
An einigen Stellen ist der Canyon so schmal, dass wir uns gerade so hindurch quetschen können.
Besonders faszinierend sind die Helligkeitsunterscheide im Canyon. Ganz oben, wo das Licht noch direkt auf den Sandstein trifft, haben die Wände ein leuchtendes Orange. In den Bereichen, zu denen das Licht nur noch indirekt vordringt, gehen die Farben in ein eher stumpfes Rot über. Bei einigen Bereichen, die im Schatten liegen, hat man sogar den Eindruck, dass leichte Blautöne zu sehen sind.
Die Farben der Canyonwände ändern sich mit dem Lichteinfall.
An einigen Stellen ist der Canyon so eng, dass ein Fisheye-Objektiv notwendig ist, um die ganze Szenerie in einem Bild fest zu halten.
“Echo Chamber” – Aufnahme mit dem Fisheye Objektiv
Der Canyon variiert immer wieder zwischen sehr engen Passagen und breiteren Abschnitten, die mehr an eine Höhle erinnern. Dazu wechseln sich auch die Formen im Gestein ab. Insgesamt ist der Canyon X sehr vielseitig, er bietet dem Fotografen jede Menge Abwechslung, verlangt aber auch einiges an Konzentration um die sehr unterschiedlichen Motive sauber abzubilden.
Linienführung und Lichtverlauf haben hier geradezu nach einer schwarz/weiss Ausarbeitung verlangt.
Wir sind so auf das Fotografieren fixiert, dass wir fast die Zeit vergessen. Wir arbeiten uns einmal bis zum Ende des Canyons durch und dann wieder zurück. Vor dem Canyon wartet Brian geduldig auf uns. Er sieht uns auf den ersten Blick an, dass wir glücklich sind mit den Motiven, die wir hatten.
Narrows im hinteren Bereich des Canyon X.
Zufrieden machen wir uns auf den Weg zurück nach Page in unser Hotel. Der Himmel ist einheitlich grau, weswegen der Sonnenuntergang ausfällt. Kaum zu glauben: Heute früh saßen wir noch in der Wetterfalle und mussten kurzfristig umplanen. Die Slot Canyons waren so etwas wie unser letztes Ass im Ärmel und jetzt bekommen wir das Grinsen kaum noch aus dem Gesicht, so gut war das. Für den nächsten Morgen ist ebenfalls eine starke Bewölkung mit geschlossener Wolkendecke vorhergesagt, weswegen wir etwas länger schlafen können und die Planung für den nächsten Tag auch erst am Morgen machen wollen.
Lower Antelope Canyon
Die Frage, die es am nächsten Tag als erstes zu klären gilt, ist die, ob wir gleich in Richtung Zion fahren wollen, oder doch noch einen Tag in Page verbringen und dabei einen anderen Slot Canyon aufsuchen werden. Nach dem Tag gestern sind wir erst mal angefixt, was Slot Canyons angeht und die Wettermodelle versprechen für den Zion auch wenig Gutes. Erst morgen soll es dort besser werden, während es hier in Page ab morgen regnen soll. Na, das passt doch wieder prima. Wir beschließen heute früh die erste Tour im Lower Antelope Canyon zu nutzen. Mit etwas Glück sind da noch nicht so viele Besucher im Canyon unterwegs. Gegen halb neun sind wir am Parkplatz des Lower Antelope Canyon und melden uns bei einem der beiden Touranbieter für die erste “Photographers Tour” an. Die soll um 09:00 Uhr starten, kostet 50$ für zwei Stunden und wir müssen neben einem Stativ eine Kamera mit Wechselobjektiv vorzeigen, um daran teilnehmen zu dürfen. Dann heißt es erst mal warten bis die Tour losgeht. Zu unserer Überraschung sind wir an diesem Morgen die einzigen beiden Fotografen auf der Tour. Das klingt jetzt besser als es ist, denn außer uns warten bereits zahlreiche “normale” Touristen auf Einlass in den Canyon.
Normalerweise wird der Canyon vom unteren Ende zum oberen Ende hin begangen. Die Fotografen-Touren werden jedoch in entgegengesetzter Richtung in den Canyon geführt, also “gegen die Fahrtrichtung”, in der die Masse an Besuchern unterwegs ist. Man läuft damit zwar nicht in einer großen Gruppe mit, es begegnen einem aber immer wieder Gruppen auf ihrem Weg durch den Canyon. Die Ruhe, die wir gestern noch im Canyon X hatten, haben wir hier nicht einmal ansatzweise!
Linienlabyrinth im Lower Antelope Canyon
Wir müssen uns also mit dem Gegenverkehr im Canyon arrangieren. Das gelingt aber ganz gut, vor allem durch die Hilfe unseres Guides. Er hält bei Bedarf einfach hinter der nächsten Kurve die Leute ein paar Minuten auf, damit wir in Ruhe unsere Aufnahmen machen können.
So bleibt uns auch hier genug Zeit, um in Ruhe die Aufnahmen zu gestalten. Was der Guide allerdings nicht unterbinden kann, und was diesem Ort in meinen Augen ein gutes Stück den Zauber nimmt, ist das Gröhlen und Johlen einiger Besucher. Das passt mehr in einen Freizeitpark als in ein Naturwunder. Die kathedralartige Stille, die einem solchen Ort das Besondere verleiht, kommt hier erst gar nicht auf.
Blick nach oben im Lower Antelope Canyon
Unser Guide leistet stellenweise Schwerstarbeit, wenn es darum geht, die Leute aus dem Bild zu halten. Er meistert das mit einer Professionalität, die ihm ein gutes Trinkgeld sichert. Manchmal tun uns die anderen Besucher etwas leid, wenn sie einfach weitergescheucht werden, damit sie bei uns aus dem Bild sind.
Zeit für einen Schluck Tee: Ab und zu haben auch wir eine kleine Pause, um die aufgestauten Besuchergruppen vorbei ziehen zu lassen.
Die zwei Stunden Zeit, die uns hier auf der Fotografen-Tour zur Verfügung stehen, vergehen viel zu schnell. Noch bevor wir das untere Ende des Canyons erreicht haben, mahnt unser Guide zur Umkehr. Auf dem Rückweg springt uns noch ein letztes Motiv ins Auge, dafür hat auch der Guide Verständnis, und dann verlassen wir den Lower Antelope Canyon auch schon wieder.
Liniensymphonie im Lower Antelope Canyon
Zufrieden verlassen wir auch den Lower Antelope Canyon, der zwar in seiner Eigenschaft als Slot-Canyon irgendwie ähnlich zu dem Canyon X war, aber doch wieder ganz anders von uns wahrgenommen wurde. Die Bilder, die gestern und heute entstanden sind, mögen sich ähneln, die Erlebnisse im Canyon waren jedoch sehr unterschiedlich. Da ist auf der einen Seite der Canyon X, der ein sehr breites Spektrum an Motiven bietet und in meinen Augen fotografisch deutlich anspruchsvoller ist als der Lower Antelope Canyon. Diesen Canyon haben wir für uns alleine gehabt und erst in der Stille kann sich so etwas wie die Magie eines Ortes entfalten. Man kann sich dabei mental ein ganzes Stück weit absenken, während man sich die Motive erarbeitet. Das Verlassen des Canyon ist dann einem Auftauchen an die Oberfläche der Welt sehr ähnlich. Ganz anders ist es beim Lower Antelope Canyon. Zwar hatten wir ausgesprochenes Glück, dass wir die einzigen Gäste auf der Fotografen-Tour an diesem Morgen waren, das was uns in regelmäßigen Abständen an Besuchern im Canyon entgegen kam, ließ aber nicht im Ansatz die Ruhe aufkommen, wie wir sie tags zuvor im Canyon X gefunden hatten. Die Folge war ein eher spontanes Arbeiten, die plakativeren Motive standen somit im Vordergrund.
Coconino County
Für den Abend besteht Hoffnung, dass die dichte Wolkendecke zum Sonnenuntergang ein paar Lücken bekommt. Wir haben natürlich auch dafür vorgesorgt und ihm Rahmen der Vorbereitung auf unsere Tour, hat Raik eine Location ganz in der Nähe von Page gefunden, die wir uns über Mittag einmal näher ansehen. Soweit passt alles und wir beschließen dort dem Sonnenuntergang eine Chance zu geben.
Coconino County – Blick in Richtung Ferry Swale Canyon
Es tut schon gut, nach zwei Tagen die Sonne wenigstens kurz gesehen zu haben. Wir lassen den Abend in einem mexikanischen Restaurant ausklingen, das zum Glück in Laufweite zu unserem Hotel liegt. Der Margaritha-Cocktail, den sich jeder von uns zum Abschluß des Tages gönnen will, kommt in einem halb-liter Glas…
Morgen geht es in die Gegend um den Zion National Park, wo das vielleicht extremste Abenteuer unserer Reise auf uns wartet. Ihr dürft auf den nächsten Blogeintrag gespannt sein!
Den Blogbeitrag von Raik zu den Slot Canyons findet Ihr auf raiklight.de
UiUiUi, Michael, das sind ja alles Kunstwerke. Die könnte ich mir im Großformat gerahmt gut vorstellen. Vielleicht war es ja auch gut so, das der Himmel bewölkt war und Ihr diese Option hattet.
LG Michael
Wahnsinn, was ihr da mitgenommen habt! Wunderschöne Bilder die du hier zeigst Michael! Freut mich sehr dass ihr so Glück hattet was eure Touren anging. Übrigens finde ich deinen Handyshot der Briefkästen auch richtig klasse 🙂
lg
Schöner Bericht und sehr schöne Fotos. Könnte man fast ein bisschen neidisch werden.
LG Peter
Schönen Dank, Peter!
Das war wirklich eine tolle Fotoreise und die Canyons bei Page waren traumhaft. Wir hatten auch ziemlich Glück mit den wenigen Besuchern.
Ich könnte mir vorstellen, wenn da richtig viel los ist, dann macht es keinen richtigen Spaß und dann werden (zumindest bei mir) die Bilder auch nix.
Danke fürs vorbeischauen und Liebe Grüße ins Sauertal,
Michael
Oh man da kommt echt Fernweh beim betrachten der Canyon Bilder
Danke, Steffi! 🙂
“Fernweh” trifft es ganz gut, das kommt bei mir auch wieder auf, wenn ich die Bilder noch mal durchsehe und den Blogbericht schreibe.
Danke fürs Anschauen + LG,
Michael